Streitbare Menschenfreundin
Neue Westfälische Nr. 16 Donnerstag, 19.01.2017
Ruhestand: Doris Römer, die langjährige Leiterin des Anna-Siemsen-Berufskollegs,verlässt die Einrichtung zum Monatsende. Sie will dann "erst mal ankommen"
Von Thomas Hagen
Herford. Es ist unruhig vor der Tür, doch gerade diesen Zustand liebt Doris Römer. "Wir sind ein lebendiges, buntes und weltoffenes Haus, darauf bin ich, sind wir alle im Kollegium stolz", sagt die gestandene Pädagogin. 40 Jahre im Schuldienst, das ist kein Pappenstiel. "Ich hatte immer Glück in meinem Berufsleben, immer war ich an Reformprozessen beteiligt. Das war nie langweilig, aber oft auch anstrengend", resümiert die 65-Jährige. Aber es ist für die Schulleiterin mit ihrem fast 100-köpfigen Kollegium eine Arbeit, die zu machen es sich lohnt. "Man kann die jungen Leute lenken in die Welt der Arbeit. Das ist ganz besonders bei den Berufskollegs so, denn wir sind eng verzahnt mit der heimischen Wirtschaft", sagt Doris Römer.
Das war nicht immer so, denn als die im Sauerland aufgewachsene Pädagogin für Mathematik nach Ostwestfalen kam, hatte sie das Gefühl, dass die Uhren stehen geblieben waren. Ein Irrtum, denn hier konnte sie viele ihrer Ideale umsetzen. "Ich bin ja bekannt als Querdenkerin und ich sehe mich auch so. Außerdem bin ich geprägt von der 68er-Bewegung", gibt Römer freimütig zu. Als sie nach dem Studium von Diplom-Mathematik und Sozialpädagogik aus dem Ruhrpott 1977 nach Rheda kam, ahnte sie nicht, dass sie hier Wurzeln schlagen würde, und im Jahre 1999 eine der wenigen Frauen sein würde, die eine große Schule leiten würden. Und das mit Erfolg.
»Mitbestimmung war mir immer ein wichtiges Element«
"Wir sind hier geerdet. Und wir haben vieles erprobt. Dabei war es mir immer wichtig, dass die Lehrer möglichst viel Eigenverantwortlichkeit beweisen. Man kann sie nicht hinter der Klassentür eigenständig arbeiten lassen und sie dann im Lehrerzimmer bevormunden. Wir müssen als Team funktionieren, mir war Mitbestimmung immer ein wichtiges Element", sagt die als zupackend bekannte Doris Römer. Auch Impulse von außen waren ihr stets wichtig. "Das bereichert die Diskussionen", sagt sie. Und davon hat es im Berufsleben der Pädagogin wahrlich genug gegeben. Im Modellversuch Kollegschule mit Ende der Siebziger bis 1999 wurden Lehrpläne selbst zusammen gestellt, diskutiert bis zum Abwinken.
»Viele Lehrer tun weit mehr als verlangt wird«
Oder das Modell Schule & Co mit den Gedanken über Unterrichtsmethoden und Steuerungsprozesse. Hier hat Römer die Chancen konsequent genutzt, um mehr von ihren Idealen umzusetzen. "Was wir damals erprobt haben ist heute ganz selbstverständlicher Teil des Schulalltags. Daraus entstand eine Fülle von Bildungsgängen und Abschlüssen. Das hat für mich etwas von Bildungsgerechtigkeit", ereifert sich die Pädagogin. Ja, streitbar sei sie, aber auch konsensfähig. "Ich bin ein Teamspieler. Und ich habe vieles von dem durchsetzen können, weswegen ich angetreten bin." Dazu zählen mehr Freiheiten im Projekt, mehr Dialog, mehr Offenheit und das Nutzen von Spielräumen. Ein wenig nachdenklich fügt Römer hinzu: "Nun haben wir vieles davon, aber ich kann schon lange nicht mehr mitmachen, ich muss nur noch organisieren." Auch in dieser Hinsicht sei es gut, dass es nun einen Wechsel gibt. "Das wird auch für die Schule gut sein." Und dass viele Lehrer in ihrem Umfeld "große Lust haben Schule zu gestalten, mehr tun als verlangt wird", das gibt ihr Hoffnung. Und das nährt in ihr den Wunsch, dass die Schule lebendig weitergeht. Und dass Pädagogen sich trauen neue Wege zu gehen, Prädikate wie "Schule ohne Rassismus" oder Internationale Klassen und gelebte Vielfalt am Leben zu halten.
»Ich kenne fast alle Volkslieder noch auswendig«
So ganz nebenbei hat Doris Römer drei Kinder groß gezogen und sich ihre Ader für Musik bewahrt. Denn sie spielt gern Klassisches auf dem Klavier und wenn sie singt - fast schon im Bariton - begleitet sie sich auf der Gitarre. Ein Relikt aus ihrer Pädagogen-Anfangsphase. Jetzt ist sie vierfache Oma und singt mit den Enkeln. "Ich kenne alle gängigen Volkslieder auswendig", sagt Doris Römer.
Wenn sie am 27. Januar verabschiedet wird, endet ihre Schulphase. Und eine neue Lebensphase beginnt. "Ich mache keine Pläne. Ich will erst mal ankommen", sagt die passionierte "Strickliese". Das Berufskolleg wird sie nur von Ferne beobachten. "Ich werde mich da komplett raushalten", sagt Doris Römer.